LESERUMFRAGE
Gerade weil sie sich über die eine oder die andere der beiden Zeitungen in Bern mal ärgern, ist es für viele wichtig, dass es zwei Berner Blätter gibt. Und so zwei Sichtweisen auf Bern und die Welt.
Medienvielfalt sei zentral für die Demokratie wie auch für den Frühstückstisch, findet gabriela graber aus Bern. Sie will am Morgen – wie eben in einer Demokratie – eine Wahl haben: «Ich wähle bewusst den ‹Bund›, und ich lese ihn mit Genuss.»
Auch wenn URS FANKHAUSER aus Bern die eine Zeitung liest, ist er froh, gibt es auch die andere: «Ich will eine Zeitung lesen, die den Akzent auf die Berichterstattung über das Ausland und die Schweiz legt. Lokale Themen sind für mich weniger wichtig. Deshalb lese ich als Berner den ‹Bund›. Dennoch finde ich es für die Meinungsbildung wichtig, dass es in Bern zwei regional ver
ankerte Zeitungen gibt», sagt Fankhauser.
Ohne Zeitung aus Bern geht es nicht, hat der Berner GUY JOST realisiert: «Als ich für ein Jahr die NZZ abonniert hatte, fehlte mir ganz deutlich der lokale Bezug, sodass ich wieder zum ‹Bund› wechselte.» Im Café werfe er auch einen Blick in die BZ. «An einer Zeitung sind mir, im Gegensatz zum Internet, die Autoren wichtig, denen ich vertraue», sagt Jost. Seinen erwachsenen Kindern gebe er den Rat: «Lest mehrere Zeitungen.» Meinungsvielfalt gibt es für ihn nur, wenn es Zeitungsvielfalt gibt.
CHRISTIAN CAPPIS aus Wohlen bei Bern verteilt seine Gunst gleich mässig auf beide Berner Blätter: «Ich habe im Moment die BZ abonniert, wechsle aber alle zwei Jahre die Zeitung.» Zum Frühstück lese er die abonnierte Zeitung, später im Café die andere Zeitung. «Ich suche unterschiedliche Sichtweisen auf nationale wie auch lokale Themen», betont Cappis, «dafür brauche ich beide Berner Blätter.»
Manchmal ärgere sie der «Bund», gesteht IRENE GRAF aus Wabern bei Bern: «Wenn er einer Politikerin Eigenschaften vom Hörensagen zuschreibt, will ich auch die Einschätzung anderer Zeitungen kennen.» Der «Bund» helfe ihr aber, Themen über eine längere Zeit zu verfolgen, Trash von Fakten zu trennen und Hintergründe in den Vordergrund zu rücken. Auch Irene Graf beginnt den Tag mit einer Zeitung aus Bern: «Die morgendliche ‹Bund›-Lektüre ist mein Start in eine vielfältige Auseinandersetzung mit mir und der Welt.» Für sie ist aber klar: «Ohne Vielfalt brauche ich auch den ‹Bund› nicht mehr.»
FRITZ GERBER aus Langnau liest die BZ. «Weil sie mehr über die Landregionen berichtet.» Wenn er von den Plänen einer Tamedia-Einheitsredaktion hört, beschleichen ihn Zweifel: «Wenn von immer weiter weg, aus einer fernen Zentrale, geschrieben wird, was hier bei uns gilt, dann bedeutet das nach meiner Erfahrung eine Ausdünnung und eine Verarmung», fürchtet Gerber.